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Vor 22 Tagen

«JICs sind essenziell und bleiben Leuchttürme»

Interview Collage

Die Medienbranche wandelt sich rasant – fragmentierte Nutzung, internationale Plattformen und neue Technologien fordern auch die Währungsorganisationen. Im Interview mit Mike Weber, Director of Marketing and Sales WEMF, erläutern Dr. Tanja Hackenbruch, CEO Mediapulse und Dr. Jella Hoffmann, CEO WEMF, wie sie auf diese Entwicklungen reagieren, welche Rolle Allianzen spielen und warum valide Daten wichtiger sind denn je.

WEMF und Mediapulse arbeiten seit Jahren gut zusammen. Leider gibt es seit der Einstellung der Onlineforschung seitens Mediapulse derzeit keine gemeinsam publizierte Studie. Gibt es zukünftig andere Bereiche, in denen die beiden Währungsorganisationen zusammenarbeiten oder Synergien nutzen?

Jella Hoffmann: Bis dieses Jahr haben wir gemeinsam mit Mediapulse die Studie MACH Total Audience publiziert. Darüber hinaus pflegen wir einen stetigen Austausch – etwa durch gemeinsame Kommunikations- und Schulungsaktivitäten sowie unser Engagement in nationalen und internationalen Verbänden.

Tanja Hackenbruch: Genau, diese enge Zusammenarbeit zeigt sich auch jenseits der Forschung – etwa in der medienpolitischen Koordination, beim Know-how-Austausch oder bei Themen wie Datenintegration und Tool-Konnektivität. Gemeinsam setzen wir uns für die Relevanz von Währungsdaten und die Sichtbarkeit von JICs (Joint Industry Committees) ein.

Internationale Plattformen wie Google und Meta ziehen mittlerweile einen beträchtlichen Anteil der Werbegelder auf sich. Wie können die beiden JICs WEMF und Mediapulse dem entgegenwirken?

Tanja Hackenbruch: Unsere Rolle sehe ich vor allem in der Aufklärung und in der aktiven Mitarbeit an politischen Initiativen, etwa im Dialog mit dem BAKOM oder durch unser Engagement in der AMC (Audience Measurement Coalition). Nur wenn allen Akteuren – von Medien über Politik bis zu Konsument:innen – bewusst ist, was hier auf dem Spiel steht, kann sich etwas bewegen. Zudem setzen wir uns als Währungsinstitut für faire Wettbewerbsbedingungen ein, auch gegenüber internationalen Plattformen, die sich bislang der Forschung entziehen. Hier suchen wir seit Jahren den Dialog – direkt und über politische Wege. Der Druck wächst, wenn auch langsam.

Jella Hoffmann: Zwar können wir den Abfluss von Werbegeldern nicht direkt verhindern, aber wir können als JICs den Schweizer Medien valide, umfassende Daten liefern, mit denen sie ihre Angebote optimieren und gezielt weiterentwickeln können. So entsteht ein echter Mehrwert gegenüber den globalen Plattformen. Darüber hinaus stellen wir dem Markt auch neutrale Daten zu internationalen Anbietern bereit – selbst dann, wenn diese sich nicht aktiv messen lassen. Und nicht zuletzt erinnern wir immer wieder an den Wert von Transparenz und unabhängiger Leistungsmessung – ein klarer Vorteil für die hiesigen Medien im Werbemarkt.

Die Printbranche steht unter grossem Kostendruck. Wie wirkt sich das auf die Forschungsprojekte der WEMF aus?

Jella Hoffmann: Unsere Kunden und Marktpartnerinnen wissen, dass hohe Forschungsqualität ihren Preis hat. Gleichzeitig spüren auch wir den Kostendruck und optimieren laufend – nicht zuletzt, weil gemeinschaftlich finanzierte Forschung bei Medienkonsolidierungen oder -einstellungen für alle teurer würde. Dank gezielter Massnahmen konnten wir die Kosten dennoch seit Jahren stabil und sehr effizient halten – bei unter einem Prozent des Print-Werbeumsatzes. Ein gewisser Druck schärft auch den Blick fürs Wesentliche und fördert neue Ideen. So testen wir fortlaufend neue Erhebungsmethoden und prüfen Synergien mit anderen Studien und Angeboten.

Auch in der Fernseh- und Radiobranche sind die Budgets unter Druck. Welche Massnahmen ergreift die Mediapulse, um dennoch die Qualität und Kontinuität der Medienforschung sicherzustellen?

Tanja Hackenbruch: Wir begegnen dem Budgetdruck mit Innovation, enger Branchenabstimmung und technologischer Weiterentwicklung. In der Radioforschung arbeiten wir mit der Branche an zukunftsfähigen, kosteneffizienten Lösungen. Erste Optionen liegen auf dem Tisch, über deren Umsetzung bald entschieden wird. Ein erstes Resultat ist das im April lancierte Produkt «Radio Streaming Data». In der Fernsehforschung konnten wir 2024 wichtige Fortschritte im hybriden Messsystem erzielen – etwa durch hochauflösende Daten (Hi-Res) und die Integration zusätzlicher Settop-Box-Daten –, und dies ohne zusätzliche Kosten für die Branche. Parallel dazu engagieren wir uns politisch für eine Anpassung des RTVG, damit Fördergelder auch für den laufenden Betrieb eingesetzt werden können – ein zentraler Hebel für die nachhaltige Sicherung der Medienforschung in der Schweiz.

Welche Rolle spielen die JICs in Anbetracht eines immer stärker fragmentierten Medienangebots und unterschiedlichen Datenquellen?

Jella Hoffmann: Gerade in einem immer fragmentierteren Medienumfeld bleiben JICs ein verlässlicher Leuchtturm. Ihre genuine Aufgabe ist es, neutrale Marktübersichten und möglichst vergleichbare Daten bereitzustellen. Als Datenquelle sind sie besonders vertrauenswürdig – denn im Gegensatz zu anderen Akteuren haben sie kein finanzielles Eigeninteresse am direkten Ergebnis, etwa an einer bestimmten Werbeleistung.

Die JICs definieren Marktstandards. Reichen diese Standards heute noch aus, um die komplexen digitalen Medienrealitäten abzubilden?

Tanja Hackenbruch: Absolut – die bestehenden Standards sind eine zentrale Grundlage, doch sie müssen laufend weiterentwickelt werden. Die digitale Medienwelt verändert sich schnell: neue Plattformen, Formate, Nutzungsformen. JICs müssen hier flexibel bleiben und gemeinsam mit dem Markt neue Standards definieren, um relevant zu bleiben. Wichtig ist, dass wir dabei nicht hinter internationale Anbieter zurückfallen – niedrigere Standards würden die Qualität und Transparenz unseres Messsystems gefährden.

Wie sehen Sie den Einfluss von künstlicher Intelligenz und automatisierten Analysetools auf die Zukunft der Medienforschung?

Tanja Hackenbruch: KI und automatisierte Analysetools werden die Medienforschung nachhaltig verändern – sie eröffnen neue Perspektiven und ermöglichen neuartige und vor allem schnellere Analysen. Doch selbst die beste KI braucht qualitativ hochwertige, unabhängig erhobene Basisdaten – genau da liegt unsere Stärke. Die Zukunft liegt in der Kombination aus technologischer Innovation und verlässlicher Datenbasis. Gemeinsam mit der Uni St. Gallen erforschen wir derzeit etwa den Einsatz sogenannter Synthetic Respondents – ein interessantes Forschungsprojekt, das eben auch aufzeigt, wo die Limiten der KI liegen.

Jella Hoffmann: Ganz genau – KI und automatisierte Verfahren sind auch längst Teil der Medienforschung, etwa in Form von Advanced Statistics oder Analyse-Algorithmen. Doch eine vollständig KI-generierte Forschung ohne Primärerhebung sehe ich aktuell nicht. Denn jede KI ist nur so gut wie ihre Trainingsdaten – und diese müssen ausserhalb der Systeme entstehen. Ihre Validität entscheidet letztlich über die Qualität aller KI-basierten Auswertungen.

Wie integriert die WEMF neue Medienkanäle in ihre Forschungsstudien und Auditprogramme, um ein umfassendes Bild der Mediennutzung in der Schweiz zu erhalten?

Jella Hoffmann: Wir erweitern unsere Studien laufend – insbesondere den Intermedia-Datensatz der MACH Strategy –, stets entlang der Bedürfnisse unserer Kunden und aktueller Nutzungstrends. So integrieren wir zunehmend neue Gattungen wie Social Media, Podcasts, Streaming oder Gaming. Zudem pflegen wir den Austausch mit internationalen Kolleg:innen, um voneinander zu lernen und neue Impulse aufzunehmen.

Welche Schritte unternimmt Mediapulse, um auf Entwicklungen in der zunehmend fragmentierten TV-Nutzung einzugehen, wie zum Beispiel Replay Ads oder die TV- und Video-Nutzung auf mobilen Endgeräten?

Tanja Hackenbruch: Auf die zunehmende Fragmentierung der TV-Nutzung reagieren wir mit einem konsequent hybriden Forschungsansatz. Dieser ermöglicht es, plattformübergreifend die Gesamtnutzung des Mediums Bewegtbild abzubilden – auch bei Replay Ads oder mobiler TV- und Video-Nutzung. Unsere Systeme werden laufend weiterentwickelt, um veränderte Konsumgewohnheiten realitätsnah abzubilden. So erhalten unsere Kundinnen und Kunden sekundengenaue Daten zur Bewegtbild-Nutzung – über alle Plattformen, Inhalte und Ausspielungsformen hinweg.

Welche Rolle spielt die Werbemedienforschung bei der Transformation klassischer Medienangebote hin zu digitalen Plattformen und hybriden Geschäftsmodellen?

Jella Hoffmann: Unsere Daten liefern wichtige Grundlagen für Strategie und Produktentwicklung – etwa darüber, wer welche Distributionsformen nutzt, wie sich Digital- und Analog-User unterscheiden oder wo es Doppelnutzungen gibt. Gegenüber dem Markt weisen wir nicht nur Reichweiten und Kontakte aus, sondern auch digitale User:innen bestehender Analogmedien, und zeichnen so die digitale Transformation in der Branche nach und liefern Erkenntnisse, welche neuen Nutzergruppen durch die digitalen Angebote erreicht werden.

Tanja Hackenbruch: Genau, Medienforschung schafft die nötige Transparenz, um diesen Wandel überhaupt messbar und steuerbar zu machen. Nur wenn Reichweiten und Nutzungsverhalten plattformübergreifend vergleichbar erfasst werden, können Medienhäuser, Regulatoren und Werbetreibende fundierte, zukunftsgerichtete Entscheidungen treffen.

Braucht es neue Allianzen zwischen Medienhäusern, Agenturen und JICs, um gegen die Dominanz internationaler Plattformen anzukommen? Wenn ja – wie könnten solche Kooperationen konkret aussehen?

Tanja Hackenbruch: Solche Allianzen sind nicht nur wünschenswert, sondern essenziell, damit Schweizer Medien im globalen Wettbewerb bestehen können. Abgesehen von vielen guten Initiativen, die es im Schweizer Markt bereits gibt und die allen bekannt sind, möchte ich hier das Engagement von Mediapulse und WEMF in der AMC erwähnen. Die AMC positioniert sich als die zentrale Stimme für unabhängige, faire Medienmessung gegenüber europäischen Regulierungsbehörden. Erste Erfolge gab es bereits im Rahmen des European Media Freedom Act. Parallel dazu setzen wir uns auf nationaler Ebene für faire Rahmenbedingungen ein – im Einklang mit der EU-Regulierung und zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Medien.

Jella Hoffmann: Dem kann ich nur zustimmen. Allianzen sind heute wichtiger denn je – idealerweise national gattungsübergreifend und auch grenzüberschreitend zwischen Medienhäusern. In der Schweiz gibt es bereits viele gemeinsame Initiativen von Verbänden der Medien- und Werbebranche sowie Medienunternehmen. Entscheidend ist nun, dass sich möglichst alle Marktakteure beteiligen, um dadurch den Schweizer Markt weiter zu stärken. Besonders ermutigend ist beispielsweise, dass einige Publisher trotz schwierigem Umfeld gemeinsam die Online-Forschung (ODS) weiterführen. Wenn hier weitere Anbieter dazustossen, wäre das ein starkes Signal an den Markt.

Vielen Dank für diese interessanten Ausführungen.